December 5, 2013

Tag 47 bis Tag 61: Die Türkei und ihre Leute

Tag 47: Sehen wir etwa aus wie Türken? - Okay, Ivan schon, dass haben wir schön öfter bemerkt.

Das erste Problem des Tages stellten wir direkt nach dem Aufwachen fest. Ivans Isomatte "hat einen Platten"...und das, obwohl wir diese gerade erst in Thessaloniki gekauft hatten, weil die vorherige ein Loch hatte. Bis Istanbul müssen wir jetzt so oder so noch kommen, denn vorher wird es keinen Outdoor Laden geben.

Wir starten also den Tag mit der Überzeugung, dass dies unsere letzte Nacht in Griechenland war. Nach einem ausgiebigen Frühstück und Haare waschen in der Schäfchen-Tränke geht es los. Zu dritt haben wir eine Menge Spass. Und da wir es alle nicht erwarten können endlich in der Türkei anzukommen, machen wir auch keine grösseren Pausen. 

Trotzdem ist es schon spät, als uns noch 8 km bis zur Grenze fehlen und wir beschliessen doch noch eine letzte Nacht in Griechenland zu verbringen. Wie gewohnt finden wir einen Ort ein bisschen abgelegen von der Strasse, wo wir sogar ein Feuer machen können. Als wir also gerade am Kochen sind, bekommen wir Besuch. Auch das ist an sich normal, da die Leute immer neugierig sind und das Feuer  ja schliesslich weit sichtbar ist, aber, oho, diesmal ist es die Polizei. Nach einem kurzen Gespräch und komischen Fragen (wir fühlen uns wie in einem Kreuzverhör) will sie unsere Pässe sehen. Wir machen noch einen kleinen Fehler bezüglich unseres Einreise-Orts nach Griechenland, weil wir "Mazedonien" sagen; für die Griechen ist dies aber eines ihrer Bundesländer und wir hätten korrekterweise sagen müssen "Ehemalige jugoslawische mazedonische Republik". Der Polizist klärt uns noch auf, dass damit nicht zu scherzen sei (der Streit um den Namen Mazedonien ist nämlich einer der Gründe, warum Mazedonien noch nicht in der EU ist). Nach weiteren Fragen und nachdem sie verstanden haben, dass wir die Wahrheit sagen, erklären sie uns, dass sie uns für illegale Einwanderer aus der Türkei gehalten haben. 

Puh, nochmal Glück gehabt.




Tag 48: Die freundlichsten Grenzbeamten und viel Militär

Heute war es dann also wirklich die letzte Nacht in Griechenland und schon sind wir praktisch an der Grenze. Eine der wenigen "richtigen" Grenzen, die wir bis jetzt überqueren, aber auch die mit Abstand problemloseste...wir müssen unseren Pass zwar an 3 verschiedenen Stellen vorzeigen und überall stehen Soldaten mit Maschinengewehren, aber die Grenzbeamten heissen uns herzlich willkommen und zählen noch schnell die Namen  aller ihnen bekannten Fussballspieler aus Ecuador auf.

Zum Mittagessen schaffen wir es in die erste türkische Stadt und es gibt "Köfte", eine Art Hackbällchen, bezahlt wird mit türkischen Lire. Wie immer, brauchen wir ein bisschen Zeit, um uns an das Land und seine Sitten zu gewöhnen. Die üblichen Vokabeln hatte ich glücklicherweise schon mit meinem Podcast gelernt und man scheint mich zu verstehen.

Um uns in unserer ersten Nacht etwas sicherer zu fühlen, fragen wir in einem kleinen Dorf nach, ob sie einen Ort zum schlafen für uns haben. Man zeigt uns ein unfertiges Haus hinter dem wir zelten können, sogar Licht und einen Tisch haben wir. So langsam werden die Abende kälter und so verziehe ich mich schnell ins Zelt. 
"Güle güle!" (Dies ist die Verabschiedung für die Person die dableibt; die Person, die geht, sagt "Hoschtschakal")





Tag 49: Unser Kätzchen

Um Punkt 6 Uhr werden wir vom Moscheengesang geweckt (der Aufruf zum beten zum ersten Mal von fünf pro Tag). Die ganze Nacht hat der Wind an unserem Zelt gerüttelt und als wir aus unserem Zelt kriechen stellen wir fest, dass es der erste Tag mit richtigem Novemberwetter ist; es regnet und alles ist grau. Unser Zelt funktionieren wir schnell um in einen gedeckten "Frühstückstisch" und an dem bleiben wir zu dritt bis 10:30 Uhr sitzen und mit uns, unsere Katze. In der Nacht war das kleine Kätzchen in unser Zelt gekrochen und den ganzen Morgen über haben wir uns so sehr mit ihr angefreundet, dass wir sie am liebsten mitgenommen hätten. Ich hatte ihr selbst einen Platz in meiner Lenkradtasche gemacht, aber da schien es ihr nicht zu gefallen. Gefolgt ist sie uns aber trotzdem, bis wir dann einen Gang höher schalten. SCHADE, aber vielleicht besser so.

Dann geht es wieder zurück auf die lange, nicht endenwollende Strasse mit viiiiel Gegenwind. Mittagessen gibt es in Malkara, mit Milchreis zum Nachtisch....mmmmmmhhhh.





Tag 50: Eine SMS bringt unsere Pläne durcheinander

Genau wie der gestrige Tag aufgehört hat, fängt der heutige wieder an....Gegenwind, gerade Strasse, die immer entweder bergauf oder bergab geht, aber niemals einfach nur gerade.

Wir sitzen  gerade beim Mittagessen mit Blick aufs stürmische Meer, als eine SMS ankommt: 
"Zur Info: morgen ist Istanbul-Marathon!!! 30.000 Leute laufen über den Bosphorus (von Asien nach Europa). Liebe Grüsse, Papa"

Und dann geht alles ganz schnell....ein Blick auf die Karte offenbart uns, dass wir die noch fehlenden 140 km unmöglich noch heute schaffen, aber die Idee, dass wir morgen über diese Brücke laufen könnten, lässt uns nicht mehr los. Schnell finden wir heraus, dass wir genau zwei Möglichkeiten haben: Bus oder LKW-Stop.  

Als wir 30 Minuten später auf dem Busbahnhof eintreffen, werden wir von einem Chor aus Städtenamen empfangen...der Bus nach Istanbul ist schnell gefunden und die Fahrräder passen auch rein, da der Bus eigentlich schon abfährt zerrt man uns praktisch in den Bus. Nach einem Chaos mit 12 Ortlieb-Taschen, einem Fahrradanhänger und 3 Fahrrädern sitzen wir gefühlte Sekunden später in der letzten Reihe im Bus nach Istanbul. Wir können es selber nicht glauben!


In Istanbul angekommen stellen wir fest, dass mein Fahrrad einen Platten hat; das ist schon ein Kunststück im Bus einen Platten zu bekommen, repariert werden muss er trotzdem und so sitzen wir also mitten auf dem chaotischen Busbahnhof von Istanbul und reparieren mein  Rad, umgeben von vielen Schaulustigen.

Inzwischen ist es dunkel und uns stehen noch 10 km quer durch Istanbul bevor. Also Licht an und los geht´s durch den Feierabendverkehr, Basarstrassen, vorbei an etlichen Moscheen bis wir endlich unser Hostel erreichen. Den Preis verhandeln wir gleich 2-fach (einmal beim ankommen und dann nochmal, nachdem wir die aktuellen Preise im Internet überprüft haben).
Auf der Internetseite des Marathons stellen wir schnell fest, dass alle Plätze verkauft sind und man nur 
bis 19:00 Uhr die Startnummern abholen konnte; inzwischen war es 19:30 Uhr...die Enttäuschung war gross, aber dann auch wieder nicht so gross, denn wir sind endlich in Istanbul, einem grossen Meilenstein auf unserer Reise.







Tag 51 bis 54: Zwischen Asien und Europa: Istanbul

Istanbul ist eine unglaubliche Stadt!!! Jeder der schon dort war kann dies wohl bestätigen. Im wesentlichen ist Istanbul durch den Bosphorus in den asiatischen und den europäischen Teil unterteilt, wobei die meisten Touristen wohl im europäischen Teil bleiben. Der europäische Teil ist ausserdem durch einen Arm des Bosphorus unterteilt in Alt- und Neustadt, welche durch die Galata-Brücke verbunden sind. Alle 20 cm hängt eine Angel am Brückengeländer mit einer extra dafür erfundenen Vorrichtung und die dazugehörigen Fischer vertreiben sich die Zeit mit einem Glässchen Chai, starker schwarzer Tee mit viel Zucker serviert in tulpenförmigen Gläsern, für mich das türkische Nationalgetränk. Ich wusste aber nicht, dass Fischen offenbar der türkische Nationalsport ist. Den Fisch kann man dann in gegrillter Form direkt als Sandwich kaufen, sehr zu empfehlen.

Wir schlafen im Guesthouse "Bonjour" in der Altstadt direkt neben der "Blauen Moschee", wohl die bekannteste Moschee der ganzen Türkei. Um hineinzugehen muss man die Schuhe ausziehen und Frauen sich bedecken bis auf Gesicht und Hände. Die Frauen beten getrennt von den Männern, damit die Männer nicht abgelenkt werden.

Ausser der unendlichen Sehenswürdigkeiten, die ich hier nicht alle beschreiben möchte, ist Istanbul für uns auch der letzte Ort für lange Zeit um noch nötige Ausrüstung zu kaufen und so suchen wir einen Outdoor Laden und kaufen eine neue Isomatte, Thermoskannen und ein paar warme Socken. Und selbst hier darf man das Handeln nicht vergessen, denn wir bezahlen für alles zusammen den auf der Isomatte angegebenen Preis. 
Für Ivan gibt es ein neues Karohemd vom Basaar, so dass er jetzt endgültig als Türke durchgehen kann.

Am letzten Tag kann ich meinen in Kroatien stehengebliebenen Laufkilometerzähler mal wieder etwas erhöhen und dabei einen schönen Sonnenaufgang geniessen. Nach dem Frühstück geht es dann auch noch in den asiatischen Teil mit der Fähre über den Bosphorus, denn die Brücke ist, mit Ausnahme des Marathons, für Fussgänger verboten. 
Der asiatische Teil ist weniger touristisch und so nutzen wir die Chance und kaufen in den Marktgassen ein paar Oliven, Gemüse, Käse, Nüsse und getrocknete Früchte für den nächsten Teil der Reise; den werden wir übrigens weiterhin zu dritt bestreiten, da Michael mit uns nach Kappadozien kommt. Wir freuen uns tierisch, da reisen zu dritt noch mehr Spass macht.













Tag 55: Aufbruch aus Istanbul - Wer keinen schwarzen Tee mag und es eilig hat, kommt besser nicht in die Türkei

Um uns den Weg aus Istanbul heraus etwas zu erleichtern, nehmen wir eine Fähre nach Yalova, einer Stadt am Marmarameer gegenüber von Istanbul. 
Nach einigen Kilometern stelle ich fest, dass mein Schlauch nicht richtig im Mantel sitzt und ich regelmässig über einen Hubbel fahre, also stoppen wir an einer Tankstelle. Direkt kommen die Leute auf uns zugelaufen, bieten uns Chai, türkischen Tee, an und  fragen, ob sie uns helfen können.
Dann repariere ich meinen Reifen, während Michael und Ivan anhand der Karte unsere Route erklären. Der älteste Mitarbeiter gibt uns noch ein paar Lebensweissheiten mit auf den Weg..."Life is short and I wish you many success".

Dann geht es weiter bis nach Orhangazi und hier scheinen Touristen wirklich niemals hinzukommen. Wir halten nur, um einen Fahrradladen zu finden, da Michaels Sattelstange eine Beule hat. Schnell hilft man uns weiter, zeigt uns den Fahrradladen und sogar ein "Übersetzer" für Türkisch - Französisch findet  sich schnell. Die "neue", gebrauchte Sattelstange wird per Telefon von irgendwoher bestellt und dann per Fahrrad geliefert und obwohl wir schnell weiter wollen, kommen wir um einen weiteren Tee nicht herum.

Da Tee trinken Zeit braucht, schaffen wir es gerade noch bis zum Ufer des Iznik Sees um dort unser Zelt aufzuschlagen...bei Rauschen der Wellen schlafen wir ein.









Tag 56: Barfuss im Iznik See

Gerade rechtzeitig zum Sonnenaufgang krieche ich aus unserem Zelt und obwohl das Wasser kalt ist, ziehe ich meine Schuhe aus und geniesse den Sand und das kalte Wasser zwischen meinen Zehen...das tut gut und das Panorama erledigt den Rest!

Als wir aufbrechen zieht es ein bisschen zu und fängt an leicht zu regnen, aber im Laufe des Tages und passend zum bergauf am Nachmittag kommt die Sonne wieder raus.

Mittagessen gibt es in Yenisehir und wir bestellen, wie schon so oft, einfach dasselbe wie der Nachbartisch und lassen uns überraschen. Als Nachtisch gibt es dann Glasnudeln in einer süssen Milch mit Sesampaste...ungewöhnlich, aber richtig lecker!

Wir zelten oberhalb der Strasse hinter einer Wasserstelle und dank Ivans kunstvollen Ideen für langbelichtete Nachtfotos entstehen ein paar schöne Erinnerungen.

Tag 57: Es ist gut, die Gebetszeiten der Muslime zu wissen...

Bevor wir unseren Tag starten, ist erstmal eine Stunde Schlamm aus Ivans Schutzblecht kratzen angesagt, denn unser Zeltplatz wäre besser für ein Lehmhaus geeignet gewesen. 
Dann geht es los Richtung Bilecik entlang der kaum befahrenen, bergigen Strasse.

Zum Mittagessen gibt es Ciköfte und viel Spass mit dem Restaurant-Besitzer. Glücklicherweise sind wir  gerade fertig, als er uns sagt, dass er jetzt beten gehen muss und wir entweder warten können oder jetzt gehen. Also machen wir uns auf Weg.

Anstelle der flachen Autobahn mit gutgemeintem LKW-Gehupe entscheiden wir uns für die kleine, aber bergige Strasse. 
Als es Zeit zum Zeltplatz suchen ist, finden wir ein schönes, aber hubbeliges Weidestück. Und so testen wir bei schönem Abendlicht unsere Schlaf-Kuhle bis wir die perfekte Position mit hochgelegten Beinen und Kopf finden.
Beim Gebetsaufruf der Moschee vom nächsten Dorf schlafen wir ein.



Tag 58: Ein Tag ohne Mittagessen, aber dafür mit Truthahn.

Als uns so gegen Mittag der Hunger einholte und einfach kein grösseres Dorf in Sicht war, mussten wir uns eingestehen, dass es heute wohl kein warmes Mittagessen gibt. Unser Brot hatten wir bereits zum Frühstück vernichtet und so blieb nicht viel "Sofort-Essbares" in unserer Vorratskammer.

Voller Hoffnung fahren wir in das einzige Dorf seit langer Zeit, wo es dann glücklicherweise einen Mini-Laden gibt, aber kein Brot mehr. Also laden wir unsere Arme voll mit Keksen und Chips, denn viel grösser ist die Auswahl auch nicht, und picknicken vor der Moschee,denn die gibt es wirklich in jeden Dorf, ein Kiosk ist da wesentlich seltener. Man ernährt sich hier also im wahrsten Sinne des Wortes von der Religion...:-)

Nach dem Essen will Michael noch ein Foto von einem Truthahn in der Hofeinfahrt machen. Das findet der Truthahn gar nicht lustig und lässt Michael einfach nicht mehr gehen, in dem er ihm den Weg abschneidet und sogar mit seinen Krallen die Beine attakiert....ein zu lustiger Anblick für Ivan und mich, das Video sagt alles.

Am Abend dann kommen wir endlich wieder in eine Stadt, Eskisehir. Gut zum Nachschub kaufen, aber sehr unpraktisch um einen Platz zum zelten zu finden. Also legen wir einen Gang zu um so schnell wie möglich aus der Stadt rauszukommen, aber irgendwie will sie einfach nicht enden und so ist es bereits dunkel und wir sind etwas gestresst, als wir doch noch einen Feldweg im Industrieviertel entdecken.







Tag 59: Hilfe, wir brauchen eine zusätzliche Ortlieb-Tasche!

Das ganze erste Stück aus Eskisehir raus ist nur Autobahn und somit ziemlich langweilig, das versteht wohl auch Mohammet, ein LKW-Fahrer, der weit vor uns auf dem Standstreifen stoppt und uns mit Keksen, Schokolade und sogar hier seltenem Sprudelwasser empfängt...mitten auf der Autobahn!!!
(Eine kleine Frage an den Leser: Wenn du einen Radfahrer mit türkischer Fahne auf der Autobahn sehen würdest, was würdest du denken und tun? Ich denke ihr versteht was ich meine :-) )

Dann endlich die Abzweigung auf eine kleinere Strasse und bald Mahmudiye, wo es hoffentlich etwas warmes zu essen gibt. Das einzige Restaurant liegt am Ende des Dorfes und bevor wir dort ankommen, werden wir bereits 5 mal zu Chai eingeladen, bekommen sämtliche Getränke in Flaschen für den Weg geschenkt und Gottseidank hat Ivan das Brot bereits bezahlt, denn sonst hätten die Herren aus dem Chai-Salon dies auch noch mitbezahlt. 

Als wir dann endlich im Restaurant ankommen ist auch gerade Mittagszeit für alle Arbeiter und so ist das Restaurant gefüllt, wie gewöhnlich nur mit Männern. Lediglich hinter der  Essensausgabe-Theke gibt es zwei Frauen.

Am Ende will die ganze Crew ein Foto und wir erzählen noch unsere Route. Die Frau umarmt mich, sagt mir dass sie mich liebt und verschüttet noch ein bisschen Wasser auf dem Boden als Glücksbringer für die Reise. Was für ein herzlicher Empfang und  Abschied! Und ich bin froh, eine der ersten türkischen Frauen auf unserer Reise zu treffen, nur schade, dass wir nicht viel sprechen können.

Seit zwei Tagen hat auch Michael eine Fahne, natürlich französisch und ob wegen dieser, oder meiner, die für eine belgische Fahne gehalten wird, wissen wir nicht, aber wieder mitten auf der Strasse hält ein Auto an um sich mit uns zu unterhalten, auf französisch. 
Wie man uns denn helfen könne? Uns fällt derzeit nicht viel ein und so lässt er seine Visitenkarte da. 
Im nächsten Ort dann die grosse Überraschung...er wartet mit einer grossen Tüte gefüllter Brote auf uns!! So langsam brauchen wir wirklich eine zusätzliche Ortlieb-Tasche für Geschenke...

Zur Krönung des Tages finden wir dann in Cifteler noch den ersten Campingplatz in der Türkei, direkt an der Quelle eines Flusses. Auch wenn hier zwar keiner mehr zeltet, dürfen wir unseres trotzdem aufstellen.












Tag 60: Und noch mehr Glück...

Am Morgen, bevor wir losfahren wollen, ist Michaels Anhänger-Reifen platt. Also schnell flicken, aufpumpen und los geht's. Dass auf dem Reifen 2,5 bar aufgedruckt ist, wird ignoriert, schliesslich ist der Anhänger schwer und braucht bestimmt mindestens 5 bar.

Kurz vor Mittag stellen wir fest, dass dies wohl ein bisschen viel  war und der Reifen langsam aufreisst...uuuups! Aber wir sind ja in der Türkei und da sind Pannen etwas Gutes, wie wir bereits gelernt haben. Mindestens ein Chai springt immer für uns raus :-)

Aber bis zur nächsten Stadt Emirdag fehlen noch einige Kilometer und so fahren wir erstmal weiter. Plötzlich stellen wir fest, dass wir von einem der Strassenbau-LKWs auf dem Standstreifen verfolgt werden. Er bittet uns anzuhalten und gibt uns ohne ein Wort Englisch zu verstehen, dass wir doch in 2km rechts reinfahren sollen zum essen.
Dort erwartet uns eine Container-Stadt für die Arbeiter und  unser LKW-Fahrer, der uns direkt zur Kantine leitet. Was für ein Glück, den der Gegenwind auf der neuen, breiten Strasse mitten im Nichts zerrt doch ganz schön an den Kräften.

Gestärkt und aufgewärmt geht es weiter auf die letzten Kilometer bis Emirdag, wo wir mal wieder einen Fahrradladen suchen. Der Reifen wird gewechselt, während ich umringt von 10 Männern Frage und Antwort stehe. Chai gibt es selbstverständlich auch und selbst 2 Ärztinnen halten mit dem Auto an um ein Foto von mir zu machen, da sie noch nie eine europäische Frau gesehen haben.
Ca. 25 Chais später und nachdem uns jetzt auch wirklich jeder der 15.000 Einwohner kennt, machen wir uns mit einem neuen Reifen auf den Weg um schnell einen Schlafplatz zu finden. Jedoch bevor wir aktiv werden können, werden wir von 2 Männern am Strassenrand angesprochen...auf französisch. Wir fragen, ob sie einen Ort kennen, wo wir unser Zelt aufstellen können. Wir sollen doch einfach im Zentrum des nächsten Dorfes auf sie warten. Gesagt, getan. Innerhalb weniger Minuten sind  wir von 4 älteren Dorfbewohnern umgeben und in Erklärungsnot (zumindest auf Türkisch), warum wir einfach unsere Fahrräder abstellen und warten, kommen auch bald die beiden Männer an. Sezar, unser "Gastgeber", ist 22 Jahre alt und wohnt eigentlich in Belgien. Er ist aber für 5 Monate in das Heimatdorf seiner Familie zurückgekehrt. Wir nehmen also Platz im "Café" des Dorfes, welches einem gemeinsamen Wohnzimmers gleichkommt und innerhalb kürzester Zeit ist das halbe Dorf bei Chai versammelt. Da es einen Übersetzer gibt, werden uns einen Haufen Fragen gestellt. Wie immer als erstes, ob wir denn verheiratet sind und es scheint auch nur zu gut, dass dies der Fall ist. Auch der Imam der Moschee nebenan, etwa dem Pfarrer der evangelischen Kirche gleichzusetzen, kommt und möchte mit uns eine Frage und Antwort Session durchführen. Wir dürfen alle Fragen zum Islam stellen und er stellt uns Fragen zum Christentum. Ziemlich spannend bis wir irgendwann feststellen, dass er uns nur vom Islam überzeugen will. 
Als Schlafplatz war uns ursprünglich das Café mit den zwei ausziehbaren Sofas versprochen worden, doch es stellt sich schnell heraus, dass wir dann wohl nicht vor 2 Uhr ins Bett kämen. Also ruft Zesar seine Kusine an und findet dort einen Schlafplatz für uns, denn bei dem inzwischen starken Regen will uns keiner im Zelt schlafen lassen.

Und wir bekommen einen herzlichen Empfang in einem mollig-warmen Raum mit Ofen in der Mitte, der Küche und Wohn- und Schlafzimmer in einem für 3 Erwachsene und 3 Kinder darstellt. Nicht etwa, da es nicht mehr Platz im Haus gibt, sondern weil es einfach zu schwierig wäre weitere Räume zu heizen.

Hier habe ich endlich meine erste "Unterhaltung" mit einer Mutter von zwei Kindern in meinem Alter, die weder lesen noch schreiben kann, und deren 15-jähriger Nichte, die deutsch und englisch in der Schule lernt. Trotzdem reicht es nur für ein paar wenige Worte, aber Hände und Füsse sprechen bekanntlich mit.
Eine Frage, welche mir doch sehr aussagekräftig erschien, war: "Wissen deine Eltern, dass du hier bist?" Hier treffen zwei Seiten der Türkei zusammen und bringen mich noch für einige Zeit ins Grübeln... einerseits die moderne Türkei, wie sie von Atatürk in den 30er Jahren eingeführt wurde und die traditionelle Geschlechterverteilung. 
Aber für heute muss ich es erstmal dabei belassen und zwischen einem Berg von Decken schlafen wir in unserem eigenen Zimmer, so gehört es sich hier für ein Ehepaar, ein.


















Tag 61: Dienstag ist Markttag in Emirdag...

...und so lassen wir uns überreden noch mit Zesar auf den Markt zu kommen. Aber vorher gibt es selbstverständlich Frühstück, und zwar im türkischen Style. Das heisst, dass zuerst eine grosse, rundeTischdecke auf den Boden gelegt wird und dann ein ca. 20cm hoher Tisch mit kleinerem Durchmesser daraufgestellt wird. Alle setzen sich um den Tisch auf den Boden und die "Unter-Tischdecke" wird über die Knie gelegt, denn der Weg vom Teller zum Mund ist weit :-) (Da wir die Privatspäre der Familie nicht stören wollten, gibt es leider keine Fotos.)

Der Markt ist genial. Michael und ich stocken unsere Vorräte auf während Ivan sich den Bart schneiden lässt. Das hier über alles verhandelt wird, was keinen ausgewiesenen Preis hat, lernen wir schnell.

Zurück vom Markt ist die Sonne verschwunden und es sieht nach Regen aus. Wir lassen uns also nicht zweimal sagen, dass wir ja noch eine Nacht bleiben können, jedoch wollen wir der Famillie nicht weiter zur Last fallen. Da bietet Zesar uns an in seinem Haus zu schlafen und so geniessen wir den regnerischen Nachmittag bei viel Chai und ich helfe noch der 15-jährigen bei ihren Hausaufgaben in Englisch und Deutsch.

Noch ein bisschen mehr zu Atatürk: 
Atatürk ist der Gründer der modernen türkischen Republik in 1923, welche aus dem Osmanischen Reich hervorging. Sein Ziel war es innerhalb kürzester Zeit ein modernes, Europa angeglichenes Land zu etablieren. Dazu gehörten vorallem das Ersetzen des arabischen Alphabets durch das lateinische Alphabet, Trennung von Staat und Religion, das Kopftuchverbot, Gleichstellung der Frau und die Einführung westlicher Kleidung und viele weiter moderne Konzepte. Bis zum heutigen Tag wird Atatürk als Held gefeiert und man findet in vielen Häusern oder Restaurants Portraits von ihm.
Für mich erklärt dies die einerseits modernen Seiten der Türkei, die man insbesondere in jungenTürkenInnen sehen kann, aber eben auch, das man Tradition nicht durch eine politische Revolution und Gesetze auf einen Schlag ändern kann.
























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