Tag 62: Türken können wirklich hellsehen
Noch gestern Abend haben wir uns von unserer "Gastfamilie" verabschiedet und bei Zesar geschlafen um auch wirklich früh aufzubrechen.Vielen Dank für alles!
Sehr traurig macht mich das ganze, da ich hier eine kleine Idee von dem Leben der türkischen Frauen bekomme, welches doch sehr weit entfernt ist von meinem Leben, in dem ich tun und lassen kann, was ich möchte.
Was wir schon anhand der Karte vermutet haben, bestätigt sich schnell...es gibt nur ein paar kleine und grösstenteils unbewohnte Dörfer auf dem Weg. Auch die Landschaft hat sich wieder gewandelt, am Horizont sieht man Berge und es gibt kaum Bäume ausser in der Nähe kleiner Bäche. An einem solchen machen wir dann auch halt für unsere Brotzeit.
Hier bemerkt Michael, dass er seine warme Mütze bei Zesar vergessen hat.Wir beschliessen nicht allzuspät einen Platz zum zelten zu suchen, damit er per Anhalter zurückfahren kann und die Mütze holen. Nach einigen Höhenmetern zelten wir dann auf 1300 m, bisher unser höchstes Nachtlager, 5km vor Yunak.
Michael stellt sein Rad ab, packt das nötige in einen Rucksack und viel gerade hoch zur Strasse gehen, als ein Auto anhält, ohne dass es auch nur annähernd ersichtbar war, dass Michael gleich den Daumen hochhalten würde. Hier wissen die Menschen eben immer, was wir gerade brauchen :-). Wie immer ist alles, was auf den ersten Blick wie ein Problem aussieht, hier in der Türkei eine neue Gelegenheit für eine Überraschung, Tee und neue Freunde. Und 3 Stunden später ist Michael mit seiner Mütze und jeder Menge Geschichten wieder zurück.
In der Zwischenzeit versuchen Ivan und ich ein Feuer zu machen, doch selbst mit Benzin brennt es nicht wirklich gut, da es einfach zu feucht ist und auch noch starker Nebel aufgezogen ist. Alles,was länger als drei Minuten draussen liegt, ist komplett durchnässt und damit dasselbe nicht mit uns passiert, verziehen wir uns nach dem Essen ganz schnell in unser Zelt.
Tag 63: Sagte ich, wir brauchen eine zusätzliche Tasche?!?...dann habe ich mich wohl versprochen: "Wir brauchen einen ganzen Anhänger!!!"
Da uns mal wieder unser Brot ausgegangen ist und sowieso nur noch 5km bis zur nächsten Stadt fehlen, beschliessen wir dort zu frühstücken. Zuerst gibt es ein typisches, türkisches Frühstück: Heisse Suppe...mmmmh, das tut gut, denn vom bergab fahren wird einem am Morgen nicht wirklich warm und im Zelt ist es mittlerweile 0 Grad während der Nacht.
Aber mit einer Suppe ist es für ein Radfahrer-Frühstück natürlich nicht getan und so fragen wir, ob wir unser Kakaolu (türkisches Nutella) auspacken können. Wie erwartet hat man nichts dagegen; hier ist man nun mal nicht so spiessig wie in Deutschland oder der Schweiz ;-) Und so verdrücken wir noch zwei komplette Brote mit Nutella und Sesampaste.
Dann wird es auch langsam Zeit aufzubrechen, aber da haben wir die Rechnung ohne gemacht. Wir halten nur kurz an, um noch ein bisschen Gemüse einzukaufen. Ich springe schnell in den Laden und als ich zurückkomme sind Ivan und Michael wie gewöhnlich vom halben Dorf umrundet und lassen sich den Weg ausführlich erklären (obwohl wir ihn uns schon 20 mal erklären lassen haben :-) )
Dann kommt ein Mann auf uns zu und erklärt uns in perfektem Französisch, dass er uns ja schon gestern auf der Strasse gesehen hätte und es sehr bereue, dass er uns nicht eingeladen habe und was er uns denn jetzt Gutes tun könne. Wir sagen, dass es uns wirklich an nichts fehlt, aber verstehen schnell, dass wir so nicht davonkommen. Auf der anderen Strassenseite gibt es gegrillte Hühnchen und er schlägt vor uns 3 Stück zu kaufen, wir stimmen für eins zu.
Die Hühnchen sind noch nicht fertig und so verlassen wir den Laden nach viiiiel Diskussion mit nur 7kg mehr anstelle von 20kg. (3 grosse Flaschen Cola, 2 Riesen-Salamis, Käse, Orangensaft und und und..) Wie gesagt, wir brauchen einen Anhänger!!
Ansonsten gab es heute keine weiteren Zwischenfälle.
Ein warmes Mittagessen finden wir erst spät in Sülüku und deshalb zelten wir auch schon im nächsten Dorf, und zwar direkt vor dem Supermarkt.
In diesem Dorf scheinen alle Tiere frei zu sein und so treffen wir ein paar Kühe und eine Gänsefamilie. Ausserdem gesellt sich ein kleiner Hund (oder besser junger Hund, denn klein war er nicht) und bewacht und die ganze Nacht. Selbst mit den Kühen legt er sich an, aber wohl nur, weil er sich noch nie im Spiegel gesehen hat.
Tag 64: Manchmal kann man auch in der Türkei Pech haben
Nach der ersten doch recht kalten Nacht für mich (ich hatte die Temperatur unterschätzt und noch nicht alle Massnahmen für kalte Nächte eingeleitet) frühstücken wir und unser Hund das noch warme Brot, welches wir vom Lieferanten des Supermarkts kaufen bevor letztere überhaupt geöffnet hat.
Die erste Herausforderung nach Aufbruch besteht darin, den Hund abzuschütteln, denn auch wenn wir ihn gerne mitgenommen hätten um uns zu beschützen, wäre es wohl keine so gute Idee. Gottseidank haben wir so starken Rückenwind, dass uns der Hund nach ca. einem Kilometer nicht mehr folgen kann.
(Wir hatten schon überlegt ihn zu meinem Papa zu schicken, denn nachdem er schon 2 auf der Strasse ausgesetzte Katzen aus Spanien hat, kann ein türkischer Hund auch nicht schaden, aber aufgrund der dann herrschenden Sprachbarriere zwischen meinem Papa und dem Hund entscheiden wir uns doch um.)
Am späten Vormittag werden wir dann mal wieder zum Tee eingeladen bei einer sehr lieben Bauernfamilie.
Nach einem grossen Mittagessen in Ceyhanbeyli gibt es ein paar Unstimmigkeiten über den Weg und leider finden wir nicht genau die Strasse, die wir nehmen wollten und so landen wir mitten im Nirgendwo zwischen endlosen Schafweiden. Prompt werden wir dann auch von 6 Kongal-Hunden von allen Seiten umrandet. Diese Art von Hunden wurden extra gezüchtet um die Schafe vor den Wolfen zu bewachen und haben ein Stachelhalsband als Schutz vor Wolfbissen. Ihr könnt euch also vorstellen, dass mit diesen Hunden nicht zu spassen ist und schon gar nicht mit 6 davon. Michael und ich waren noch schnell genug aber Ivan blieb nicht viel übrig als stehenzubleiben und zu zittern. Dann kommt aber auch schon der Schäfer auf seinem Esel (mit Handy in der Hand) und pfeift seine Hunde zurück.
Als es Zeit wird einen Schlafplatz zu suchen, stoppt ein Auto mit einem deutsch-sprechenden Türken, der uns anbietet bei ihm zu schlafen. Er wartet im nächsten Dorf auf uns. Angekommen gibt es erstmal Chai und die Atmosphäre ist schon etwas komisch. Als wir dann fragen, ob wir im Garten zelten können, murmelt er etwas von zuviel Aufmerksamkeit und sagt, dass er uns einen Platz zeigt. Wir folgen ihm bis nach dem Ortsschild von Yapali auf ein leeres Feld, ohne Schutz, ohne alles und vor allem mit 3 brusthohen Kongal-Hunden, die nur auf uns warten. Ich fragen ihn, ob er einen Witz macht und er scheint zu merken, dass es vielleicht nicht der ideale Platz ist. Wir haben kaum eine andere Chance, da es schon dunkel ist.
Am Ende zelten wir dann in einem noch nicht fertiggebauten Haus, aber so richtig sicher fühlen wir uns trotzdem nicht, da es viele Geräusche und Personen rund ums Haus gibt (wahrscheinlich normal an einem Samstagabend, aber wenn man den Zeltplatz nicht selber ausgesucht hat, ist man einfach etwas unruhig).
Tag 65: In einem Dorf mit 45 Einwohnern und 150 Kühen tanzen wir uns in den Schlaf
Der Start in den Tag ist nicht viel besser als der Abend, vorallem als wir dann nach einem Dorf, in dem keiner unsere Grüsse erwidert und die Kühe Müll essen auf einer "Buckelpiste" landen und noch immer nicht wirklich Au dem richtigen Weg sind. Zu allem Übel, grüssen uns die Kinder mit "Money, Money" und unsere Stimmung ist wirklich am Boden.
So durchleben wir also unsere erste kleine Krise zu dritt mitten im Nirgendwo.
Doch zum Abend ist dann alles, aber auch wirklich alles vergessen. Im ersten Dorf nach Eskil (Yasir) fragen wir bei einem Bauernhof, ob wir unser Zelt aufstellen können.
Wir werden allerwärmstens empfangen und obwohl eine riesige Sprachbarriere besteht unterhalten wir uns den ganzen Abend über alles mögliche, mit Armen und Beinen und einem Wörterbuch. Wirklich unglaublich, was man sich alles sagen kann.
Sehr schnell wird mir auch ein Kopftuch mit selbstgehäkeltem Blumenrand geschenkt und ich bekomme gezeigt, wie ich es anlege. Essen gibt es natürlich auch, wie üblich auf dem Boden. Danach muss dann Ivan zusammen mit einem der Männer einen angeblich traditionellen türkischen Tanz tanzen...so traditionell ist er dann doch nicht, denn die Hüften werden kräftig geschüttelt und selbst die Grossmutter wird geholt um zuzuschauen. Alle lachen lauthals und haben ihren Spass. Was für ein schöner Abend und ein ganz klares Beispiel für Brücken über Kulturen und Religionen hinweg.
Tag 66: Und zum Abschied noch Geschenke
Zum Frühstück werden wir selbstverständlich wieder ins Haus eingeladen, diesmal in die untere Etage, wo der andere der zwei Brüder mit seiner Familie wohnt. Es gibt Suppe und frische Milch, die bereits um 7 Uhr morgens gemolken wurde.
Zum Abschied gibt es noch ein paar warme, selbstgestrickte Socken für mich, damit mir auch im Zelt nicht so kalt wird. Wie süüüüüß!
Obwohl hier alles klar männerdominiert ist, oder vielleicht auch gerade weil hier alles männerdominiert ist, besteht eine besondere Verbindung zwischen Frauen. Ich habe immer das Gefühl von allen Frauen ganz besonders lieb verabschiedet zu werden und auch wenn ich es nicht verstehe, dass sie mir von ganzem Herzen alles Gute wünschen und ich auf mich aufpassen soll. Es gibt immer viele Küsse für mich.
Für heute Abend peilen wir ein Hotel in Aksaray an. Bis dahin steht uns noch eine lange, gerade Strasse bevor mit im allgemeinen flacher Landschaft, nur der 3000m-hohe Berg Hasan ragt schon seit einigen Tagen heraus und wir haben ihn schon von mindestens 3 verschiedenen Seiten gesehen. Ausserdem fahren wir auf eine Wand voller Berge zu, die wie wohl aber erst morgen erreichen werden.
Um die lange Strasse zu unterbrechen gibt es mal wieder Chai, diesmal in der komplett ausgestatteten LKW-Küche...genial.
Und dann erreichen wir auch schon unsere erste "grössere" Stadt seit Tagen mit immerhin etwas über 140.000 Einwohnern, Aksaray.
Tag 67: Kappadozien...wir haben es geschafft.
Nach einem guten Frühstück geht es direkt los in die Berge. Da es doch recht kalt ist, schätzungsweise 4 Grad, sind wir froh über den Anstieg und die Sonne kommt auch heraus. Ich nutze die Zeit um endlich die türkischen Zahlen über zehn von meiner aus dem Wörterbuch gerissenen Seite zu lernen.
Unterwegs werden wir in ein halbgebautes Haus gerufen. Als wir eintreffen, sehen wir noch gerade, wie die Weissweinflasche versteckt wird. Hier treffen wir ein altes Ehepaar, welches gerade ihr Haus selber baut. Auf der halbfertigen Mauer sitzend bekommen wir Chai serviert und der Mann will uns zeigen wie sehr er seine Frau liebt und küsst sie immer wieder. Sowas haben wir zuletzt in Griechenland gesehen. Dass wir hier an einem wirklich nicht-islamischen Ort gelandet sind, wird uns spätestens dann klar, als der Gebetsaufruf der naheliegenden Moschee komplett ignoriert wird, als wäre es ein lautes Autoradio, welches man von der Strasse hört.
Dann eeeendlich erreichen wir die erste Höhlenstadt, denn dafür ist Kappadozien bekannt. Und irgendwie ist es komisch an einem so touristischen Ort mit seinem Fahrrad anzukommen. Als hätten wir mal eben unser Fahrrad genommen, um diese Höhlenstadt zu besuchen.
Das Wetter spielt mit und wir klettern durch ein Labyrinth aus Gängen, welches Häuser und sogar eine in den Fels gehauene Kathedrale verbindet. Als wir fertig sind ist es schon spät und so fahren wir nur bis zum nächsten Touri-Restaurant, wo man uns einen Platz zu zelten anbietet. Wie praktisch! Wir bauen unser Zelt auf einer Plattform über dem Fluss auf, welche wohl im Sommer für Tische und Stühle des Restaurants gedacht ist.
Warum man uns diesen Platz angeboten hat, verstehen wir als wir nach dem Kochen einen Kaffee trinken gehen...2 Kaffee für 10 Lire!!!! Ich dachte schon der Kellner macht Spass, aber er meinte es ernst. Vielleicht waren wir auch einfach zu verwöhnt...in den meisten Fällen zahlen wir nämlich nichts für unseren Kaffee und wenn dann höchsten 1.5 Lire, aber um ehrlich zu sein sind auch 3,50€ (10 Lire) nicht so viel für 2 Tassen Kaffee, wir kannten aber nunmal die "echten" Preise.
Und wie gut, dass wir hier nicht gegessen haben, denn die Preise will ich gar nicht wissen.
Tag 68: Im Tourbus ist das wohl alles nah beieinander, aber mit dem Fahrrad ist man schnell mal einen Tag unterwegs
Wir machen uns also weiter auf den Weg nach Ihlara, wo es einen Canyon zu sehen gibt. Dort angekommen sind wir aber durchgefroren und suchen erstmal vergeblich ein geöffnetes Restaurant zum aufwärmen. Irgendwann schickt und dann jemand die ca. 20%-ige Abfahrt ins Tal hinunter, wo es auch ein geöffnet Touristenrestaurant gibt, doch leider, leider ist der Kohleofen kaputt und wir sind hinterher auch nicht wärmer als vorher. Also geht es eine Rampe mit derselben Steigung auf der anderen Seite des Dorfes wieder hinauf und weiter.
Geschützt gegen den wirklich kalten Wind schlafen wir hinter einem Stall oder einer Scheune.
Tag 69: Heute müssen wir in Göreme ankommen!!!
Darüber sind wir uns alle einig. Die letzten zwei Tage haben wir nicht wirklich viele Kilometer geschafft, aber heute wollen wir die noch letzten ca. 75 km schaffen.
Wir powern also ein bisschen, stoppen nur für ein kurzes Brot & Keks Mittagessen im Chai-Salon und kommen dann schneller als gedacht oberhalb von Göreme mit einer atemberaubenden Aussicht an.
Endlich Göreme!!! Die Stadt für die wir bestimmt 500 km Umweg in Kauf genommen haben.
Tage 70 bis 73: Kappadozien aus dem Balloon....es hat sich gelohnt!!!!
Wir waren uns alle einig, dass wir hier ein paar Tage Pause machen würden, die erste richtige Pause seit Istanbul.
Und ebenfalls einig waren wir uns, dass wir eine Balloonfahrt machen würden, zumindest zwei von uns drei. Ivan zweifelte noch etwas wegen seiner Höhenangst.
Wir lernten, dass die Balloonfahrten morgens um 5 Uhr starten, um bei Sonnenaufgang bereits in der Luft zu sein. Für den zweiten Tag wurde klarer Himmel vorhergesagt und so buchten wir unsere Tour.
Zu der Tour selber möchte ich gar nicht viel sagen, denn die Fotos sagen mehr als 1000 Worte. Nur soviel, es war wunderschön; dieser Meinung war selbst Ivan nachdem er die ersten Schockmomente überwunden hatte.
Ansonsten bereiteten wir noch ein bisschen Weihnachtspost vor, warteten die Fahrräder und spazierten durch die aussergewöhnliche Felslandschaft.
Tag 74: Der erste Schnee
Als wir heute Morgen aus dem Fenster schauen, sehen wir alles von einer weissen Decke überzogen, inklusive unserer Fahrräder. Endlich der erste Schnee ist da! Schnell kaufen wir noch eine Schneeschaufel und los geht´s.
Kaum auf der Hauptstrasse stellt sich heraus, dass das vorankommen gar nicht so schlecht ist. Der Seitenstreifen hat zwar eine kleine Schneeschicht, aber mehr als 3-5 cm sind es wohl nicht.
Und dann kommen wir zu unserem ersten Tankstellen-Camping kurz vor Keyseri. Die Tankstelle hat einen vom Wind geschützten Obstgarten, wo wir unsere Zelte aufstellen. Wir sehen, dass es Holz gibt und fragen, ob wir ein Feuer machen dürfen. Glück gehabt! Und so machen wir das grösste Feuer, was man je gesehen hat. Und so dürfen wir unsere, wie sich am Morgen herausstellt, bisher kälteste Nacht mit -6 Grad im Zelt mit warmen Füssen antreten.
Tag 75: Ein halber Tag im Einkaufszentrum...so langsam fühlen wir uns wirklich wie Zigeuner
Auch zum Morgen gibt es wieder ein Feuer und gottseidank Sonne, um Zelte, Schlafsäcke usw. zu trocknen, nachdem wir unser Zelt wie eine Autoscheibe enteist hatten.
Aufgrund einiger administrativer Angelegenheiten brauchen wir Internet und fahren bis zum nächsten Einkaufszentrum in Keyseri, wo wir auch fast den halben Tag verbringen.
Den anderen halben Tag verbringen wir vor der Post. Um 13:00 Uhr treffen wir ein und es stehen bereits ca. 20 Frauen in einer Schlange in der Kälte. Wir denken uns okay, dann werden sie schon gleich aufmachen und stellen uns dazu. Aber man erklärt uns, dass die Post erst um 13:30 Uhr öffnet. Wenn wir schonmal da sind...warten wir also und spaßen mit der immer grösser werdenden Schlange. Die Frauen versuchen mit mir zu kommunizieren und drehen sich dann kichernd um. Wir haben alle unseren Spass und am Ende will man mich sogar vorlassen.
Als die Türen endlich aufgehen, stellt sich heraus, dass alle Leute Geld wollen und somit an einen anderen Schalter müssen als wir. Glück gehabt! Wir geben also unsere Briefe auf und fragen uns, ob der Brief nach Ecuador auch wirklich ankommen kann, wenn hier auch wirklich keiner weiss, wo genau das denn liegt. Lassen wir uns überaschen.
Danach ist es schon spät und so nennen wir es einen Tag nach 25 km und suchen notgedrungen ein Hotel, denn Zelten mitten in der Stadt ist immer etwas schwierig.
Tag 76: Es schneit, es schneit, kommt alle aus dem Haus. Die Welt, die Welt sieht wie verändert aus.
Anscheinend hatte es die ganze Nacht geschneit und wollte auch nicht aufhören, als wir unsere Fahrräder aus dem Hotel schieben. Wie schon gewohnt schauen uns die Hotelangestellten verwirrt an, ob wir denn jetzt ernsthaft mit dem Fahrrad fahren wöllten, wo doch jeder der normalen Bürger zu Hause bleibt oder, falls doch nötig, die Zeit draussen auf´s minimalste verkürzt.
Wir ziehen trotzdem los. Den ganzen Vormittag geht es leicht bergauf bis auf 1360m und der Schnee nimmt kein Ende. Zum Mittagessen finden wir das wahrscheinliche einzige Restaurant des ganzen Tages. Gut, dass wir die einzigen Gäst sind, denn so können wir uns um den Ofen setzen und unsere Jacken, Schuhe und Socken trocknen.
Weiter geht es durch den Schnee. Um 15:40 Uhr erreichen wir das nächste 3000-Seelen Dorf Sarioglan und da es schon fast dunkel ist, fragen wir bei dem ersten geeigneten Haus.
Wie in letzter Zeit so oft, sehen uns die Leute skeptisch an, als wir sagen, dass wir nur einen Platz zu zelten brauchen. Es sei doch viel zu kalt!
Man lässt uns aber dennoch unsere Zelte im Garten aufschlagen. Später reicht man mir das Telefon mit dem Bruder unseres Gastgebers, der perfekt deutsch spricht. Er sagt, dass er in 30 Minuten da ist und dass, falls wir irgendetwas brauchen, er uns helfen kann.
Wenig später kommt dann die Polizei, die die Familie verständigt hatte, und das Spiel mit dem Telefon wiederholt sich mit einer anderen Person, die mir ein paar Fragen stellt. Danach wollen sie unsere Pässe sehen. Etwas komisch denken wir uns, machen uns aber keine weiteren Sorgen.
Dann endlich kommt der deutsch-sprechende Bruder und bittet uns ins Haus. Wir werden in ein Wohnzimmer mit schicken, roten Sofas gebeten. Wir sind etwas überrascht, denn kein Haus bis jetzt glich auch nur annähernd diesem. Mohamed, unser Übersetzungs-Engel, erklärt uns auch recht schnell, warum. Wir sind im Haus des Bürgermeisters gelandet!!!!
Gerade als es an die Tafel zum Essen geht, kommt die Polizei erneut und sagt uns, dass sie uns ein Zimmer besorgt hätten, da wir unter gar keinen Umständen draussen schlafen könnten. Der Bürgermeister beteuert aber, dass wir SEINE Gäste sind und freut sich, als wir uns entscheiden bei ihm zu bleiben.
Später kommt auch noch Mehmets Schwester Mehtap. Es stellt sich heraus, dass beide bis zum 21. bzw. 20. Lebensjahr in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und somit besser deutsch als türkisch können. Eeeeendlich eine Frau mit der ich über all die Fragen reden kann und das auf deutsch!!! Man merkt Mehtap an, dass sie in Deutschland gelebt hat. Sie ist sehr direkt, offen, lebensfröhlich und mir auf den ersten Blick mehr als sympathisch.
Nach unserem Gespräch verstehe ich so langsam, wie sich türkische Mädchen in Deutschland fühlen müssen und was sie dann erleben, wenn sie zurück in die Türkei kommen, wo Frauen vor 15 Jahren weder Auto fuhren noch arbeiteten. Mittlerweile hat es sich etwas gebessert, aber noch heute, so erklärt sie mir, würde ein Mann hier niemals etwas in der Küche machen oder gar putzen. Auch beim Essen sehen wir in jedem Haus wieder, dass die Gäste und die Männer offiziell essen und Frauen dann irgendwann hinterher in der Küche.
Methap sagt aber, dass sie Glück hat und ihre Eltern ihr einen guten Mann ausgesucht haben, der ihr zwar nicht hilft, aber sie immerhin machen lässt, was sie will (auch wenn sie so z.B. die erste autofahrende Frau im Dorf war). Ich freue mich für sie!
Für Mehmet ist das ganze schwieriger. Er findet in der Türkei keinen guten Job, da er nicht gut türkisch spricht und kein Diplom hat. Nach Deutschland kann er auch nicht zurück, obwohl er sich dort zu Hause fühlt. Wenn er hier z.B. die Zigaretten-Packung einer seiner Freunde aufhebt und in den nächsten Mülleimer wirft, wird er ausgelacht. Gefangen zwischen zwei Kulturen.
Stark berührt von diesen Schicksalen schlafen wir auf einem der roten Sofas ein.
Tag 77: Gegenwind!
Nach einer warmen angenehmen Nacht wird uns ein perfektes Frühstück serviert: Pommes, Käse, Eier, Khaki-Püree, Joghurt und eingemachte Aprikosen dazu Brot.
Mehmet kommt auch extra vorbei und spielt den Übersetzer. Unser Gastgeber teilt uns mit, dass wir eine neue Familie und ein neues Zuhause in der Türkei haben und wir jederzeit willkommen sind; nur sollten wir doch das nächste Mal mit dem Flugzeug kommen :-)
Wir versichern, dass wir bestimmt nicht nochmal mit dem Fahrrad kommen und verabschieden uns.
Als wir gerade gehen wollen klingelt noch das Telefon. Es ist der Bürgermeister von Keyseri, der grossen Stadt von vor 2 Tagen. Als dieser hört, dass gerade 3 Touristen mit dem Fahrrad da sind, fragt er, warum unser Gastgeber nicht angerufen hat, denn er hätte das Fernsehen und die Zeitung geschickt. Puuuh, da sind wir gerade nochmal unserer "Minute of fame" entgangen.
Hätten wir gewusst, was uns auf der Strasse erwartet, wären wir wohl, wie uns angeboten wurde, noch einen Tag geblieben. Mehmet hatte sich sogar extra Urlaub genommen.
Zurück auf der Hauptstrasse geht es los...Wind. Kalter Wind. Den ganzen Tag fühle ich mich als würde ich für jeden Meter nach vorne wieder drei zurückgepustet, aber voran kommen wir nicht. Gerade mal 30km für den ganzen Tag und das, obwohl wir so viel Energie verbraucht haben wie noch nie.
Ich bin nicht gut im Windstärke schätzen, aber Michael sagt, dass es mindestens 50 kmh waren.
Und zwar nicht nur von vorne sondern von allen Seiten, der Zog der vorbeifahrenden LKWs lässt uns grosse Schlenker machen und teilweise ist der Wind so stark, dass ich anhalten muss, um nicht gegen die Leitplanke gepustet zu werden.
Wir schaffen es also bis zu einem Restaurant mit Tankstelle und Hotel, wollen aber zelten.
Die Angestellten haben nichts dagegen und so bauen wir unsere Zelte auf und bereiten alles vor für die Nacht; zum essen gehen wir aber doch ins Restaurant, um uns aufzuwärmen.
Nach einer ganzen Zeit kommt ein Polizeiauto mit einem Soldaten mit Maschienengewehr und seinem Kommandeur. Wir machen schon Scherze und können nicht glauben, dass auch diese schon wieder für uns sind, aber es scheint so. Passiert hier einfach so wenig???
Der Soldat spricht englisch und sagt, dass wir bei dieser Kälte nicht draussen schlafen könnten. Es sei verboten. Was können wir gegen einen Soldaten mit Machienengewehr sagen...so bekommen wir einen Spezialpreis im Hotel. Am Ende hat er noch ein sehr schlechtes Gewissen und entschuldigt sich, dass es ja nur um unsere Sicherheit ginge. Selbst für ein Foto stellt er sich zur Verfügung, aber sein Kommandeur pfeift ihn schnell zurück. Also leider doch kein Foto und eine weitere warme Nacht.
Nur zum Zelte abbauen müssen wir noch einmal in die Kälte. Als würden wir diese zum Spass auf und wieder abbauen...Liebe Polizei, können Sie uns nächstes Mal bitte VOR dem Zelteaufbau Bescheid sagen.
Danke!
Tage 78 bis 88: Wir wechseln uns ab...
Ein bisschen froh, dass wir nicht draussen geschlafen haben sind wir schon, da es sich noch jetzt sehr kalt anfühlt.
Während des vormittags stoppen wir für Chai in einer Tankstelle. Es sind -12 Grad!!! Das es kalt ist, wussten wir, aber soooo kalt!?!
Wenig später erreichen wir Sarkisla, wo wir eigentlich nur zum Mittagessen stoppen wollten, es aber 10 Tage wurden.
Noch während des Mittagessens diskutierten wir, wie wir denn jetzt die 12 Tage bis Weihnachten verbringen sollen...doch das Problem löste sich von selbst.
Wir kommen also nach dem Mittagessen im Hotel an und fragen nach einem Zimmer für eine Nacht. Da wir merken auch am nächsten Morgen merken, dass uns der vorletzte Tag mit soviel Gegenwind und Kälte wirklich alle unsere Energie geraubt hat entscheiden wir noch einen Tag zu bleiben. Am nächsten Morgen fühlt sich Michael dann gar nicht gut und das bleibt auch die nächsten 4 Tage so...Fieber, Schnupfen, Husten. Und gerade als es Michael dann wieder gut geht und wir am nächsten Tag aufbrechen wollen, fängt dasselbe bei mir an.
So bleibt uns also nichts anderes übrig als jeden Tag erneut zur Rezeption zu gehen und "Bir gün daha, lütfin" (Noch einen Tag bitte.) zu sagen und die Aussicht aus unseren Fenster zu geniessen.
Am zweiten Tag entdecken wir einen Laden, in dem Frauen Brot backen und verkaufen. Und weil wir arbeitende Frauen unbedingt unterstützen wollen, gehen ab sofort jeden Tag Ivan und die zweite noch oder schon gesunde Person ins Dorf um Brot und Gözleme (eine Art Crepes mit wahlweise Spinat, gewürztem Frischkäse oder Kartoffeln) zum Frühstück zu kaufen. Wir entwickeln also unsere Routine.
Ansonsten kochen wir selber mit unseren Gaskochern im Zimmer...gut, dass es hier keine Rauchmelder gibt.
Ich lese in der Zeit drei Bücher (wie gut, dass wir einen Kindle haben):
Me before you (Jojo Moyes), And the Mountains Echoed (Khaled Hosseini), The unlikely Pilgrimage of Harold Fry (Rachel Joyce)
Und am 15.12. feiern wir noch unseren ersten Hochzeitstag.
Irgendwann fühle ich mich dann auch endlich wieder besser und wir beschliessen, am nächsten Tag aufzubrechen, um Weihnachten doch noch an unserem Wunschort kurz vor der Grenze zum Iran zu verbringen. Dazu müssen wir leider den Bus nehmen, welches aber wohl aufgrund der Temperaturen (praktisch nie über -10 Grad und bis zu -21 Grad) und unseres trotzdem noch labilen Zustandes wohl auch angebracht ist.
Als wir zum ersten Mal zu dritt zu unseren "Brotlieferantinnen" gehen, werden wir danach mal wieder zum Chai eingeladen. Man führt uns in den hinteren Teil eines geschlossenen Kleidungsgeschäfts (da Sonntag), wo 4 Männer um den Ofen sitzen. Soweit noch nichts ungewöhnliches. Lustig wird es, als sie den Fisch auspacken, in Alufolie einwickeln und in den Ofen hängen. Frische Peperoni werden ebenfalls gegrillt. Für uns schien es in dem Moment gar nicht so ungewöhnlich, erst als wir uns einen Ofen mit Fisch im H und M vorstellten, konnten wir uns kaum noch halten vor lachen.
Aber man gewöhnt sich eben an alles...was wohl die Kunden am Montag sagen, wenn die Kleidung nach Fisch riecht????